Die Skala der Ausbildung in der klassischen Reitlehre
Sie ist bestimmt jedem Reiter, der sich schon einmal intensiver mit dem Thema „Reiten lernen“ beschäftigt hat, bereits begegnet: Die Skala der Ausbildung. Die uns heute bekannte Skala der Ausbildung wurde aus der bei der Kavallerie gültigen Heeresdienstverordnung (1937) entwickelt und ist sowohl bei der FN als auch beim IPZV gleichermaßen anerkannt. Ziel ist ein durchlässiges Pferd, das die Hilfen des Reiters bereitwillig, zwanglos und gehorsam annimmt und damit angenehm und mit leichter Hand zu reiten ist.
Wie aus obiger Tabelle ersichtlich besteht die Skala der Ausbildung aus aufeinander aufbauenden Punkten, beginnend von der Findung des Taktes bis hin zum Reiten in Versammlung. Allerdings sollte man die einzelnen Ausbildungsstufen nicht als streng voneinander getrennte Schritte sehen, sondern vielmehr als ein System von ineinander übergreifenden Abschnitten. Grundlegende Voraussetzung dabei ist die physische und psychische Entspannung des Pferdes, also die Zwanglosigkeit, die auch in jeder Phase der Ausbildung erhalten bleiben sollte und die systematische Gymnastizierung erst möglich macht.
Die Skala der Ausbildung sollte allerdings nicht nur im chronologischen Ablauf des Reitpferdelebens Beachtung finden, sondern für jede Arbeitseinheit die anzustrebende Basis bilden, um die Leistungsbereitschaft des Pferdes zu erhalten und sein Potential in bester Weise zu fördern. So sollte jegliches Reiten mit der Findung des (dem jeweiligen Pferd angepassten) gleichmäßigen Taktes beginnen, damit das Pferd die Losgelassenheit erreichen kann. Diese Wiederum ist die entscheidende Grundlage, um das Pferd gesund in Anlehnung (durch den Rücken) reiten zu können, hierbei Muskulatur in korrekter Weise aufzubauen und seine Gelenke zu schonen. So kann man dann auch in der weiterführenden Arbeit mit dem Pferd über die Verbesserung des Schwungs und das Geraderichten schließlich mit gutem Gewissen zur Versammlung gelangen.
Wie in der von mir angefertigten Tabelle ersichtlich, habe ich in die bestehende Skala der Ausbildung auf einer zusätzlichen horizontalen Achse die Gangarten mit von links nach rechts zunehmender Geschwindigkeit angeordnet. Die Zahlen innerhalb der Tabelle von 1 bis 8 stehen für die Reihenfolge, in welcher die Stufen der Ausbildungsskala im Regelfall am Besten erarbeitet werden können.
Zuallererst sollte also die Findung des zwanglosen Taktes im Schritt angestrebt werden, da hierauf sowohl die Losgelassenheit im Schritt als auch die Findung des Taktes in der nächsthöheren Gangart (Trab oder Tölt) aufbaut. Erst also, wenn das Pferd seinen individuellen Takt in der jeweiligen Gangart gefunden hat, sollte man zur nächsthöheren Gangart wechseln, um sich dann dort wiederum den Takt zu erarbeiten. Innerhalb der einzelnen Gangarten sind die Stufen der Ausbildungsskala (vertikale Spalten) von unten nach oben zu erklimmen. Hierbei kann man das Erreichen der einzelnen Stufen allerdings nicht mit Druck erzwingen, sondern man muss sie sich mit Gefühl erarbeiten. Anhand dieser Darstellung wird ersichtlich, wie viel Arbeit einerseits darin steckt, ein Pferd in gesunder Weise gut auszubilden und zu reiten, aber wie viel Freude man andererseits daran haben kann, wenn die investierte Mühe von nachhaltigem Erfolg gekrönt ist.
Selbstverständlich kann es dabei dann auch mal Tage geben, an denen man über die Arbeit am zwanglosen Takt nicht hinauskommt, obwohl das Pferd in seiner Ausbildung eigentlich schon weiter fortgeschritten ist. Sei es, dass das Tier durch äußere Einflüsse ständig abgelenkt ist oder dass Pferd oder Reiter mal „einen schlechten Tag“ haben. Wer in solchen Fällen dann trotzdem ungeduldig sein Programm durchzieht, weil es ja schließlich beim letzten Mal auch auf einer höheren Stufe geklappt hat, tut weder dem Tier noch sich selbst etwas Gutes. Bei solch gefühllosem Vorgehen leidet nicht nur die angestrebte Harmonie, auch die körperliche Gesundheit des Pferdes wird durch Verspannungen beeinträchtigt und wegen der Überforderung sinkt verständlicherweise auch die Leistungsbereitschaft. Eine gute Zusammenarbeit zwischen Mensch und Pferd setzt schließlich gegenseitiges Verständnis, Geduld und Wohlwollen voraus, wobei die Skala der Ausbildung durchaus eine hilfreiche Unterstützung zur Erreichung der angestrebten Durchlässigkeit darstellt.
Wer sich bewusst darauf einlässt, sein Pferd gemäß der Ausbildungsskala zu trainieren, wird sehr bald merken, wie viel Freude es machen kann, wenn sich bald erste Erfolge einstellen und das Pferd physisch und psychisch gesund motiviert mitarbeitet.